Kleinunternehmer & MwSt
Der Kleinunternehmer, die Umsatzsteuer-Jahreserklärung und die Option zur Regelbesteuerung 5. Dezember 2013 | Umsatzsteuer
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Auch ein Kleinunternehmer (§ 19 UStG) muss eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abgeben. Berechnet ein Kleinunternehmer in einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung die Steuer nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuerrechts, ist darin grundsätzlich ein Verzicht auf die Besteuerung als Kleinunternehmer (sog. Option zur Regelbesteuerung) zu sehen. In Zweifelsfällen muss das Finanzamt den Kleinunternehmer fragen, welcher Besteuerungsform er seine Umsätze unterwerfen will. Verbleiben Zweifel, kann eine Option zur Regelbesteuerung nicht angenommen werden.
Die für Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer wird von Unternehmern, die im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebieten ansässig sind, nicht erhoben, wenn der Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 € nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 € voraussichtlich nicht übersteigen wird (§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG).
Ein Unternehmer, der die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt, weil er die dort genannten Umsatzgrenzen nicht überschreitet (sog. Kleinunternehmer), hat gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG die Möglichkeit, auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG zu verzichten.
§ 19 Abs. 2 UStG lautet:
“Der Unternehmer kann dem Finanzamt bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4 UStG) erklären, dass er auf die Anwendung des Absatzes 1 verzichtet. Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung bindet die Erklärung den Unternehmer mindestens für fünf Kalenderjahre. Sie kann nur mit Wirkung von Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen werden. Der Widerruf ist spätestens bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung des Kalenderjahres, für das er gelten soll, zu erklären.”
Für die Auslegung und Anwendung des § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG gelten nach dem vorliegenden Urteil des Bundesfinanzhofs folgende Grundsätze:
- Ein Verzicht auf die Besteuerung als Kleinunternehmer (sog. Option zur Regelbesteuerung) kann dem Finanzamt gegenüber auch konkludent abgegeben werden. Der Gesetzeswortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG darf weder in dem Sinne verstanden werden, dass der Gesetzgeber für die Option einen bestimmten Erklärungswortlaut habe vorschreiben wollen, noch ist hieraus zu schließen, dass eine Option allein durch eine ausdrückliche Erklärung vorgenommen werden könnte1.
- Eine Option zur Regelbesteuerung durch konkludentes Verhalten kann von einem sog. Kleinunternehmer auch in der Weise erklärt werden, dass dieser dem Finanzamt auf einem für die Regelbesteuerung vorgesehenen Vordruck eine Umsatzsteuererklärung einreicht, in welcher er die Umsatzsteuer nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes berechnet und den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat2. Bei der diesbezüglichen Würdigung kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Von ihnen hängt es ab, ob durch das Finanzamt der Inhalt einer Steuererklärung zweifelsfrei zugleich als Erklärung zur Ausübung des steuerrechtlichen Gestaltungsrechts aufgefasst werden darf oder ob dem Inhalt eine solche Bedeutung nicht zukommt3.
- In Zweifelsfällen muss das Finanzamt den Kleinunternehmer fragen, welcher Besteuerungsform er seine Umsätze unterwerfen will4. Die Beseitigung etwa bestehender Zweifel ist wegen der erheblichen Rechtsfolgen, nämlich der nach § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG für mindestens fünf Kalenderjahre geltenden Bindung des Verzichts auf die Kleinunternehmerbesteuerung, aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich. Verbleiben Zweifel, kann eine Option zur Regelbesteuerung nicht angenommen werden.
Soweit der Kleinunternehmer geltend macht, er habe mit der Umsatzsteuererklärung für 2006 gar keine Optionserklärung i.S. des § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG abgeben wollen, ist dies rechtlich unerheblich.
Da das Erklärungsbewusstsein kein notwendiger Bestandteil der Willenserklärung ist, kann schlüssiges Verhalten auch dann als Willenserklärung gewertet werden, wenn der Handelnde an die Möglichkeit einer solchen Wertung nicht gedacht hat, sofern er bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen konnte, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst werden durfte und der Erklärungsempfänger es auch tatsächlich so verstanden hat5.
Auch ein Kleinunternehmer i.S. des § 19 Abs. 1 UStG ist gemäß § 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet, eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abzugeben6. § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG sieht keine Befreiung von dieser Verpflichtung vor.
Dem Finanzamt wird durch die Erklärungspflicht die Prüfung ermöglicht, ob der Unternehmer den Kleinunternehmerstatus zu Recht in Anspruch nimmt7.
Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG bindet die Verzichtserklärung für 2006 den Kleinunternehmer mindestens für fünf Kalenderjahre, wenn die Steuerfestsetzung (hier: des Vorjahres) unanfechtbar geworden ist.
Die fünfjährige Bindungsfrist soll Missbräuche beim Vorsteuerabzug verhindern8. Wäre z.B. ein jährlicher Wechsel zwischen Besteuerung und Nichtbesteuerung möglich, bestünde die Möglichkeit, ungerechtfertigte Vorteile durch entsprechende zeitliche Verlagerungen der vorsteuerbelasteten Leistungen anderer Unternehmer für das Unternehmen sowie der Umsätze zu erlangen9.
Vorliegend hat der Kleinunternehmer eine in der beantragten Anwendung der Kleinunternehmerregelung (möglicherweise) zu sehende Optionsrücknahme erst nach Eintritt der Bestandskraft des Umsatzsteuer-Jahresbescheids für das Vorjahr erklärt. Sie wäre daher wegen Verstoßes gegen § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG wirkungslos10.
Ohne Erfolg wendet der Kleinunternehmer im vorliegenden Fall ein, der BFH11 habe die Rücknahme eines Antrags wegen Irrtums auch nach Ablauf einer Ausschlussfrist zugelassen. Denn der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist nicht mit dem des Streitfalls vergleichbar. Der BFH hat in diesem Urteil12 die Rücknahme eines in der Steuererklärung irrtümlich gestellten Antrags lediglich aus dem Grund zugelassen, weil sie innerhalb der offenen Einspruchsfrist des Steuerbescheids erfolgte, in dem der Antrag erstmalig steuerlich berücksichtigt worden ist. Das Kreuz im Vordruck war versehentlich um eine Zeile zu hoch gesetzt worden. Das Finanzamt war von vornherein von einem offensichtlichen Irrtum ausgegangen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gerade nicht erfüllt.
Auch eine Anfechtung einer evtl. vorliegenden Optionserklärung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG wegen Irrtums wäre nicht möglich.
Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Anfechtung von Willenserklärungen wegen Irrtums sind im öffentlichen Recht grundsätzlich nicht sinngemäß anzuwenden. Hier bestimmt sich ausschließlich nach öffentlichem Recht, ob die Erklärung berichtigt, ergänzt oder widerrufen werden kann13. Für den Streitfall hat der Gesetzgeber in § 19 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 UStG abschließend eine abweichende, spezialgesetzliche Regelung getroffen14.
Soweit sich der Kleinunternehmer darauf beruft, nach Birkenfeld sei auch im Steuerrecht eine Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums möglich15, ergibt sich daraus für den Streitfall kein anderes Ergebnis. Nach Birkenfeld16 handeln Steuerpflichtige bei Anfechtung (erst) nach Bestandskraft fahrlässig und schuldhaft verzögert i.S. von § 121 BGB, wenn sie den Irrtum “in offener Rechtsbehelfsfrist” nicht bemerken; dann sei die Anfechtung ausgeschlossen. Im Streitfall war der –in Anwendung der allgemeinen Vorschriften des UStG ergangene– Umsatzsteuerbescheid für das Vorjahr bereits bestandskräftig, als der Kläger seine (Nicht-)Besteuerung als Kleinunternehmer nach § 19 UStG begehrte.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. Juli 2013 – XI R 14/11
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter II.1.a; Abschn. 19.2. Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Satz 1 UStAE↩
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter II.1.b; in BFHE 202, 403, BStBl II 2003, 904, unter II.2.b; Abschn. 19.2. Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Satz 2 UStAE↩
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter II.1.b↩
- vgl. Abschn. 19.2. Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Satz 3 UStAE↩
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 185, 82, BStBl II 1998, 420, unter II.1.b; Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl., § 133 Rz 11, m.w.N.↩
- vgl. Mößlang in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 19 UStG Rz 26; Hildesheim in Offerhaus/Söhn/Lange, § 18 UStG Rz 62; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 18 UStG Rz 27; Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 18 Rz 355; Lippross, Umsatzsteuer, 23. Aufl., S. 1091↩
- vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 18 UStG Rz 27↩
- vgl. Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. V/1581[zu], 17↩
- gl. A. Friedrich-Vache in Reiß/Kraeusel/Langer, a.a.O., § 19 UStG Rz 38↩
- vgl. Lippross, a.a.O., S. 1092↩
- BFH, Urteil vom 09.04.1975 – I R 55/73, BFHE 115, 377, BStBl II 1975, 616↩
- in BFHE 115, 377, BStBl II 1975, 616, unter 2.↩
- vgl. BFH, Urteile vom 11.01.1967 – I 78/65, BFHE 87, 529, BStBl III 1967, 208; in BFHE 115, 377, BStBl II 1975, 616, unter 2.; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 26.02.2004 14 K 858/00, EFG 2004, 1199, rkr.↩
- vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Vorbemerkungen zu §§ 149-153 AO Rz 13; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor §§ 149-153 AO Rz 7 und Fn 2; Stöcker in Beermann/Gosch, AO Vor §§ 149-153 Rz 9↩
- Birkenfeld, StuW 1977, 31↩
- Birkenfeld, StuW 1977, 31, 41 Buchst. d↩
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